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Schule ändern

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Inhalt:
  1. Schulentwicklung in der Presse
  2. ...

1. Schulentwicklung in der Presse

Katja Irle: Alte Schule

Fünf Jahre nach Pisa markiert die Degradierung vom vermeintlichen Klassenprimus zum mittelmäßigen Schüler eine Zäsur, die das Land bis heute noch schmerzt. Und da hat es offenbar therapeutische Wirkung, sich die gesamte Enttäuschung über den vermasselten Test und die nachfolgenden Niederlagen von der Seele zu reden. Könnte man den verbalen Ertrag messen, nähme die Bundesrepublik ohne Zweifel einen Spitzenplatz unter den Post-Pisa-Debattierern ein. Auf den Spitzenplätzen für umfassende Bildungsreformen sieht man sie allerdings vergebens.

Erst vor kurzem offenbarte die jüngste Pisa-Detailauswertung, dass die Leistungsbilanz an den deutschen Schulen bestenfalls stagniert. Ein Drittel der befragten Schüler macht innerhalb eines Jahres keinerlei Lernfortschritte in Mathematik, acht Prozent verschlechtern sich sogar. Man könnte die Ergebnisse schönreden, immerhin lernt mehr als die Hälfte der Jugendlichen richtig was dazu. Doch die Bilanz ist verhagelt, wenn ein Teil der Schüler Stunde um Stunde im Unterricht sitzt, ohne dass sie der Lehrer erreicht.

Pisa ist kein Heilmittel gegen solche Missstände, denn testen allein macht nichts besser. Aber die Studie hat Defizite offen gelegt, die zwar bekannt waren, doch kaum öffentlich diskutiert wurden: etwa die benachteiligung von Kindern aus Migranten- oder sozial schwachen familien und die Unfähigkeit der Schule, mit Unterschieden umzugehen.

Das deutsche Bildungsystem mit seinem unseligen Ausleseverfahren nach der Grundschule produziert immer mehr Verlierer. Der Anteil derer, die Schule ausschließlich als Ort des Versagens erleben, ist zu groß. Eklatant hoch ist er in jenen Restschulen, in denen kollektive Perspektivlosigkeit herrscht, weil dort die Ausgemusterten des gegliederten Systems vereint werden - zu Gunsten eines störungsfreien Unterrichts der Bildungsgewinner in den anderen Schulformen.

Unter allen Reformideen, die nach Pisa angeschoben wurden, gibt es keine, die dieser Misere tatsächlich Rechnung trägt.

Beispiel Kindergarten: Hier tut sich viel, aber längst nicht genug. Zwar bestreitet niemand mehr, dass die frühkindliche Bildung die Basis für den späteren Schul- und Berufserfolg legt und deshalb am ehesten geeignet ist, soziale Defizite auszugleichen. Die politische debatte konzentriert sich jedoch auf Scheinlösungen. Was nützt ein gebührenfreies und verpflichtendes letztes Kindergartenjahr, wie kürzlich von der CDU beschlossen (in Hessen, H.B.) wenn die Kommunen es nicht bezahlen können? Der Kindergarten braucht nicht weniger, sondern mehr Mittel, wenn er nicht nur betreuen, sondern auch bilden soll.

Beipiel Lehrerausbildung: Sie müsste im Zentrum aller Reformen stehen, doch nach wie vor behandeln viele Universitäten Lehramtsstudenten als lästiges Anhängsel. Den bereits ausgebildeten Lehrern, vor allem jenen an Brennpunktschulen, mangelt es an Unterstützung. Noch immer werden Hauptschullehrer schlechter bezahlt als ihre Kollegen am Gymnasium.

Beispiel Bildungsstandards: Sie sind Kultusministern wie Pisa-Machern heilig, tragen aber zur Lösung des Dilemmas kaum etwas bei. Was hilft es Lernziele festzuschreiben, wenn ein Drittel der Schüler auf dem Weg dorthin verloren geh? Was bringt der zunehmende Evaluierungswahn für Schüler und Lehrer, wenn tiefgreifende Reformen meist nur an Modellschulen möglich sind - ganz so, als müsse man den Rest der Bildungsanstalten vor Ansteckung schützen.

"Die Schule neu denken" lautete lange vor Pisa eine Forderung des Reformpädagogen Hartmut von Hentig. Dabei hatte er nicht gute Noten, schon gar nicht internationale Leistungsvergleiche im Sinn. Der langjährige Leiter der Bielefelder Laborschule dachte an eine Bildungsstätte, die die "besten Menschen, die beste Polis und das beste Leben" hervorbringt. Diese Kernaufgabe von Bildung ist aus der Mode geraten. Vielleicht, weil sich die Ergebnisse so schlecht messen lassen.

Frankfurter Rundschau 05.12. 2006, S. 3

Literatur

Pisa-Konsortium Deutschland (Hrsg.; 2005): "Pisa 2003. Der zweite Vergleich der Länder in Deutschland - Was wissen und können Jugendliche?" Waxmann

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